Predigt vom 21. November 2021

 

Predigt über Jesaja 65, 17-25

17 Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird. 18 Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe. Denn siehe, ich erschaffe Jerusalem zur Wonne und sein Volk zur Freude, 19 und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk. Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens. 20 Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen, sondern als Knabe gilt, wer hundert Jahre alt stirbt, und wer die hundert Jahre nicht erreicht, gilt als verflucht. 21 Sie werden Häuser bauen und bewohnen, sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen. 22 Sie sollen nicht bauen, was ein anderer bewohne, und nicht pflanzen, was ein anderer esse. Denn die Tage meines Volks werden sein wie die Tage eines Baumes, und ihrer Hände Werk werden meine Auserwählten genießen. 23 Sie sollen nicht umsonst arbeiten und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen; denn sie sind das Geschlecht der Gesegneten des HERRN, und ihre Nachkommen sind bei ihnen. 24 Und es soll geschehen: Ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören. 25 Wolf und Lamm sollen beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, aber die Schlange muss Erde fressen. Man wird weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der HERR.

 Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus.

Liebe Gemeinde!

Das Kirchenjahr geht zu Ende. Es geht zu Ende, indem es über sich hinausweist. Unüberhörbar erklingt die Stimme der Hoffnung aus der ganzen Bibel. Gottes Verheißung aus dem Jesajabuch:  Ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, nimmt das Neue Testament auf und antwortet darauf. Wir haben im Gottesdienst diese Antwort  mit dem Leitvers zum Introitus selbst gesungen: Wir warten auf einen neuen Himmel und auf eine neue Erde nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt (2. Petrus 3,13). Und schließlich wird sie bekräftigt im letzten Buch der Bibel mit der Epistellesung für den Ewigkeitssonntag aus Offb 21: Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde.

Heute ist es an uns, diese Verheißung zu hören und weiterzugeben. Das geht nur, wenn wir uns in sie hineinstellen, an ihr aus- und aufrichten. Einfach ist das nicht. Steht sie doch allem entgegen, was uns täglich so an Nachrichten umspült.

Man sagt ja: Seid die Menschen nicht mehr an Gott glauben, glauben sie an nichts mehr. Aber das Gegenteil ist wohl richtig: Sie glauben alles! Und so treffen Verschwörungstheorien, düstere Zukunftsprognosen und apokalyptische Szenarien auf offene Ohren. Und längst nicht jeder Pessimismus lässt sich als Unsinn abtun. Auch seriöse Wissenschaft hält uns vor Augen, wie ernst die Lage ist. Für viele Arten von Pflanzen und Tieren ist das Ende längst gekommen. Die ersten Inseln im Pazifik melden schon „Land unter“. Das sind gewaltige Stolpersteine für die Hoffnung, die uns heute entgegentritt.

Lassen sich die globalen Probleme manchmal verdrängen, so bleibt doch unsere je eigene Lebensgeschichte als Anfrage an diese Hoffnung. Wir hören von Freude und Jubel, vom Verstummen aller Klage; doch viele von ihnen sind gekommen mit Trauer, mit der  Erinnerung an einen verstorbenen Angehörigen.

Ihre Stimmen – ihr Lachen und Weinen – klingen noch in uns nach. Ihre Gesichter, ihre Hände, ihre Bewegungen stehen uns noch vor Augen. Wenn wir früher eine Weile getrennt waren, wuchsen die Sehnsucht  nach der oder dem Anderen und die Vorfreude auf ein Wiedersehen. Heute ist die Trennung endgültig. Und es bleibt nur die Trauer – mit ihrer Schwester, der Dankbarkeit. Die Dankbarkeit für alles gemeinsam Erlebte und Getragene bewahrt die Trauer davor, bitter zu werden. Und sie macht die Trauer zu etwas Kostbarem, was wir nicht hergeben möchten und dürfen.

Wird die Trauer durch die Hoffnung erstickt? Wird sie von Jubel und Freude übertönt?

dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird. Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens.

Wie könnten wir heimisch werden in Gottes neuer Welt ohne unsere ganze Geschichte? Es heißt zwar, dass wir in Erinnerung vor allem das Gute behalten, aber das Schwere gehört ja auch zu uns. Selbst wenn wir auf manch schwere Erfahrung gern verzichtet hätten; sie sind es, die uns besonders prägten und darum kostbar sind.

Und sie werden in Gottes neuer Welt nicht einfach übergangen. Auch getrocknete Tränen sind in ihren Umrissen noch erkennbar. Die Hoffnung kommt nicht aus dem Nichts, sondern geht aus von dem, was Menschen erleiden. Es ist die Klage, die im Gewand der Hoffnung daherkommt und so noch herauszuhören ist.

Es ist die Klage über den alten Himmel, der uns oft so fern und verschlossen erscheint, und aus dem wir Gottes Stimme nicht mehr zu hören meinen.

Es ist die Klage über die alte Erde, wo Menschen jeden Alters  sterben, obwohl sich für uns ihr Leben längst nicht erfüllt hat. Die Klage über Ungerechtigkeit, weil Menschen für andere Häuser bauen, obwohl sie selbst keine Bleibe haben; wo gesät, gepflanzt und geerntet wird von Menschen, die selbst nicht genug zum Essen haben. Es ist die Klage über Gewalt, die die ganze Schöpfung durchzieht: Das Leben von Menschen und Tieren.

Wie können wir die Hoffnung Jesajas weitergeben? Nur so, dass sie uns ergreift; nicht so, dass wir uns selbst an etwas wie einen Strohhalm klammern, das wünschenswert wäre. Das hieße Sich-Vertrösten bzw. Vertröstet-Werden. Zumindest sprachlich ist es ja dem Trost nahe – und doch grundverschieden. Das Vertrösten geht über das Hier und Jetzt der Not hinweg. Es spielt allein auf Zeit: Irgendwann, irgendwie wird es schon besser werden.

Der Trost aber trifft die Tränen und den Schmerz, die Angst und Verzweiflung. Und im Gegensatz zum Vertrösten weiß er einen Grund für die Hoffnung zu nennen, denn er kann sich auf Gottes Verheißung berufen.

Der Trost der Verheißung erreicht uns, wo Christus in unser Leben tritt. Was für einen anderen Grund hätten die Zeugen des Neuen Testaments in bedrängter Zeit haben sollen, an der Verheißung Jesajas festzuhalten, als die Auferstehung Jesu? Und so ist die Hoffnung auch in unser Leben getreten. Wie Gott Jesus aus dem Tod ins Leben gerufen hat, hält er auch unser Leben in seinen Händen und wird es durch den Tod hindurch vollenden.

Unser Leben aber ist nicht denkbar ohne die Welt, in der wir leben und die zu uns gehört. So umgreift die Hoffnung auf Gott die ganze Schöpfung: Erde und Himmel.

Eine Erde ohne Weinen und Klagen; dafür voller Freude, in der Gott und Menschen zusammenfinden. Eine Erde ohne Unrecht und Gewalt; ohne vorzeitigen Tod, der Menschen mit leeren Herzen zurücklässt. Im Gegenteil: Sie sind das Geschlecht der Gesegneten des HERRN, und ihre Nachkommen sind bei ihnen. Was hier der Tod auseinandergerissen hat, wird wieder zusammenfinden.

Zur Schöpfung gehört aber auch der Himmel. Denn Erde und Himmel gehören zusammen und können ohne einander nicht gedacht werden. Es ist die Hoffnung auf einen Himmel, der nicht vergiftet und von Raketen zerrissen ist; aus dem kein saurer Regen und schon gar keine Bomben fallen. Es ist die Hoffnung auf einen Himmel, der der Erde so nah ist, dass Menschen mit Gott eins sein werden; so dass gilt: Ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören.

Schließlich heißt es: Die Tage meines Volks werden sein wie die Tage eines Baumes.

Auch ein großer Baum kommt aus einem kleinen Samenkorn. Das Samenkorn der Hoffnung hat Gott schon in uns gelegt. Wir richten uns aus an Gottes Verheißungen. So verändern sie uns. Wir werden zu Wartenden mit geschärften Sinnen für das, was Gott will und schafft. Wir müssen nicht die Augen verschließen vor dem unendlichen Leid in der Welt, weil es nicht mehr auszuhalten ist. Denn es ist angesprochen und aufgehoben in Gottes Verheißungen, auf die sich unsere Sehnsucht und Hoffnung richtet. Nach ihnen strecken wir uns aus – wie ein Baum sich streckt und wächst.

Es sind nicht unbedingt die schlanken, schnell und geradlinig gewachsenen Bäume, die faszinieren. Jetzt im Spätherbst, wenn das Laub abgefallen ist, sieht man alten Bäumen die Wunden an, die ihnen die Stürme des Lebens geschlagen haben. Trotzdem sind sie weiter gewachsen und gerade so eindrucksvoll und schön.

Während sie ihre Wurzeln noch seufzend in die alte Erde graben, strecken sie die Zweige der Hoffnung schon weit hinein in Gottes neuen Himmel.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

Pfarrer Cyriakus Alpermann

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