Predigt vom 3. April 2022

Predigt

Pfarrerin Ulla Knauer

Judika mit Vorstellung der Konfirmand*innen

(03.04.2022)

Predigt zu Markus 10, 35-45

 

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

  1. Einstieg: Rangstreitigkeiten unter Geschwistern

Liebe Gemeinde, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden! Zu Beginn will ich euch etwas fragen und bitte euch um Handzeichen: Wer von Euch hat Geschwister? (Konfis und Gemeinde reagieren mit Handzeichen)

Dann ist Euch sicherlich die Situation vertraut, dass ihr Euch messt mit euren Schwestern oder Brüdern: Wer ist der Schnellste? Wer bekommt das letzte Stück Schokokuchen? Wer bringt die besseren Noten nach Hause? Wer sammelt im Sport die meisten Medaillen oder Pokale? Wer bekommt mehr Taschengeld? Wer hat besseren W-Lan-Empfang?

Und – zumindest bei uns zu Hause die wichtigste Frage: Wer darf das neue Nutella-Glas aufmachen?!

Ja, so ist es: Wo Menschen miteinander leben, vergleichen sie sich, messen sie sich, schauen, wer wo mehr bekommen kann, oder bekommen hat. So war das auch vor 2000 Jahren nicht anders. Und auch die Jünger Jesu, unter ihnen die Brüder Jakobus und Johannes, haben überlegt, ob sie vielleicht schneller und besser sind als ihre Kollegen. Hören wir auf den Predigttext:

  1. Predigttext Mk 10, 35-45

35 Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen zu ihm: Meister, wir wollen, dass du für uns tust, was wir dich bitten werden.

36 Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue?

37 Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit.

38 Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet.

Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?

39 Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir.

Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; 40 zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das zu geben steht mir nicht zu, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.

41 Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes.

42 Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.

43 Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; 44 und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.

45 Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele

  1. Wer führt das Gespräch? Interessante Wende

Frech und selbstbewusst, kommt mir zuerst in den Sinn, wenn ich die Zebedaiden-Brüder höre. Völlig überzeugt davon, was ihnen zusteht, sagen sie „Ich will“. Keine Höflichkeitsfloskel kommt ihnen über die Lippen, wie „Lieber Jesus, könntest du mal darüber nachdenken?“, „Wir hätten da mal ne Frage?“, „Was hältst du davon?“

Nein, ganz direkt, stellen sie ihre Forderung. Als würde ihnen ein Preisgeld zustehen. Jetzt sind sie ja schon monatelang mit Jesus unterwegs. Was bekommt man denn für die Strapazen? So ein Ehrenplatz im Himmel wäre doch was.

Als ich den Text noch einmal gelesen hatte, fiel mir auf, dass Jesus 4mal antwortet. Und 4mal verschieden. Er grätscht nicht sofort in den Redefluss der Jünger. Zweimal lässt er sie ausreden, ihre Forderungen formulieren. Der Redeanteil der Zebedaiden ist am Beginn viel größer als der von Jesus. Im zweiten Teil wechselt dann der Redeanteil. Die Zebedaiden und die Jünger werden still, ganz still zuletzt. Jesu Gewicht nimmt zu.

Zu Beginn fällt, wie gesagt, auf, dass Jesus sie erstmal reden lässt. Zweimal bleibt er geduldig, fragt erst nach, steht ihnen ein Stück Wahrheit zu, auch wenn sie sicher längst nicht begreifen, was wirklich beim Trinken des Kelchs und in der Taufe passiert. Die Frage wäre hier auch, ob wir das eigentlich bereits in Fülle begreifen, oder ob wir uns nicht eher auch jedes Mal beim Feiern wieder neu annähern.

Erst jetzt, bei Jesu 3. Reden folgt sein Aber. Eine Art Stoppschild im Redefluss. Und die Brüder verstummen. Dafür werden andere wach, die 10 weiteren Jünger merken, da passiert etwas.  Eifersucht wird geweckt. Doch Jesus kommt der Eifersucht zuvor, lädt alle ein zuzuhören. Und schenkt eine Erklärung. Keine Reaktion der Jünger mehr. Es wird still. Der, der redet und herrscht ist wieder eindeutig Jesus. Ob sie einsichtig sind, wird nicht gesagt. Zumindest sind sie wohl zum Nachdenken gebracht.

  1. Zitat, die Herrscher

Schauen wir uns also an, was Jesus da sagt. Was finden wir in seiner Erklärung? Sie ist hochaktuell. In Vers 42 heißt es: „Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.“ Leider brandaktuell. Geprägt von den Bildern der Medien denken wir zuerst an den russischen Präsidenten und sein Militär, und seinen zerstörerischen Einfluss und Kampf in der Ukraine. Da hat jemand Macht und herrscht, und setzt seine Kräfte gegen die Schwächsten ein, gegen Zivilisten, gegen Kinder, Frauen, Männer, Kranke, und, und, und. Doch Jesus spricht ja generell von Herrschern, die ihre Macht missbrauchen. Und so weitet es den Blick und lässt uns erschrecken und einsehen: Überall gibt es die Mächtigen, aber auch die Mitmenschen, die ihre Mächte missbrauchen. Ob im Jemen, in Afrika, ob körperliche Gewalt in Familien mitten unter uns in Deutschland. Die Opfer sind die, die schwächer sind.

Letzte Woche habe ich in einer Zeitung eine Reportage gelesen, die mich schockiert hat. Es ging um die Behindertenwerkstätten in Deutschland. Ich dachte immer an eine gute Sache, und war davon überzeugt, dass man Integration unterstützt, wenn man dort einkauft oder bestellt. Was ich nicht wusste, ist die Tatsache, dass es für Menschen mit Behinderung keinen Tariflohn und keinen Mindestlohn gibt. Es gibt eher ein Taschengeld von 1-2 Euro pro geleisteter Stunde. Dabei haben dort viele eine vollständige Berufsausbildung und arbeiten 40 Stunden in der Woche. Ich war entsetzt. Die Endprodukte sind genauso hochwertig wie wo anders, ob Catering, Textiles oder Schreinerei. Menschen 2. Klasse, mitten unter uns.

Und die Liste wäre lang, und wir würden mit dem Unrecht bis heute Abend nicht fertig. Ich nenne nur noch den Siedlungsbau in Israel, der fröhlich illegal weitergeht, der Wasserraub von seinen Nachbarn, oder dass Millionen Kinder auf der Welt nicht in die Schule können, weil es in viel zu vielen Ländern das Schulgeld gibt. Und dazu kommt natürlich noch die je eigene Biographie. Jeder von Euch, jeder von Ihnen, hat sein eigenes erlebtes Unrecht.

  1. Jesus stoppt die Gewaltspirale

Was macht nun Jesus anders? Schon im Gespräch schafft er es ja, dass der Streit nicht eskaliert. Er hört zu, er erklärt, er bindet mit ein.

Und dann: Er dreht alles um. Die Umkehrung der Macht: Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein (V43). Die Frage heißt nicht mehr: Was bekomme ich? Was steht mir zu? Nein, sie heißt jetzt: Was kann ich tun? Womit kann ich dienen?

  1. Jesu Geheimnis: Woher kommt der Wille zum Dienen?

Unser Predigttext wird am Ende still. Sind die Jünger ins Nachdenken gekommen? Was hat ihr „Ich will!“ gestoppt?

Ich frage mal anders: Was bringt plötzlich hier zu Lande so viele Menschen ins Handeln, zur Hilfsbereitschaft, wo man hinschaut Aktionen für die Menschen in der Ukraine oder Flüchtlinge. Ich denke, die vielen Bilder in den Medien sind für uns so etwas wie Stoppschilder: Das wollen wir hier nicht! Keinen Krieg, keinen Mord, keine Zerstörung in Europa! Und die Menschen sind sichtbar, sind hautnah da. Ihr, liebe Konfirmanden erlebt das, wenn aktuell eure Schulsporthalle Notunterkunft ist.

Und wie hat das Stoppschild Jesu zur Gewaltspirale bei den Jüngern gewirkt? Jahre später, waren sie selbst in der Leitungsverantwortung als Apostel. Sicher waren sie keine perfekten Menschen, mussten immer wieder neu diskutieren, überlegen, ringen: Was ist Wahrheit? Sind wir noch auf dem Weg Jesu? Aber ihr Wille war da. Der kirchliche Wille war und ist da und ist Kernelement der Christen: Immer wieder darüber zu reden. Was ist der richtige Weg? Und wie dienen wir den Menschen?

Und ihr Jugendlichen? In einem Monat feiert ihr Konfirmation. Wie geht es danach weiter? Wird euer Glaube bleiben, euer Interesse an Gott? Werdet ihr beten? Oder mithelfen hier in der Gemeinde oder woanders?

„Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein“ – die Botschaft bekommen wir heute mit. „Dienen“ klingt ja erstmal lästig, und nach viel Arbeit. Das Geheimnis Jesu ist, dass sich Dienen und Größe nicht ausschließen, sondern im Dienen zusammenkommen. Als ich so alt war wie ihr, war ich auch Konfirmandin. Damals kam eine Pfarrerin in den Kurs und fragte: Wer könnte mal mithelfen beim Kindergottesdienst? Ich habe mich gemeldet, und dachte, anschauen kannst du es dir ja mal. Und ja, es war mit Dienst und kleinen Arbeiten verbunden. Zeiten, zum Vorbereiten. Lernen, wie man eine Geschichte erzählt oder mit Kinder bastelt. Aufbauen und Aufräumen. Doch es hat mich nicht mehr losgelassen. Warum? Weil ich jedes Mal völlig erfüllt und gestärkt nach Hause gegangen bin. Und das völlig unabhängig davon, wie viele Gäste kamen. Ob 10, ob 20, oder manchmal nur 2 oder 3. Gott war für mich gegenwärtig und hat seine Kraft geteilt.

Zurück nochmal zu den Zebedaidenbrüdern: Sie wollten auf den Thron. Das Zepter am liebsten mit in der Hand halten. Doch sie konnten ihn nicht reservieren. Die Nähe, direkt neben Gott, steht ihnen allein nicht zu. Vielmehr allen Menschen steht sie zu. Nicht um sich zu baden in Macht, nicht um sich auszuruhen. Sondern um gestärkt zu werden, und dann wieder aufzustehen, und neu ans Werk zu gehen. Unser Gott ist ja selbst keiner, der sich auf seinen Thron zurückzieht, sondern dem sein Thron bewusst ist, aber unterwegs ist mit uns Menschen.

Zuletzt ein Zitat von Martin Luther, der diesen scheinbaren Widerspruch von Größe und Dienst als Christ formuliert hat: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan“. Martin Luther hat darüber ein ganzes Büchlein geschrieben. Aber genial ist doch, dass uns Jesus groß macht. Zu Königen und Königinnen, Freiheit schenkt, eine ganz besondere Freiheit. Die Freiheit, sich selbst zum Helfen und Dienen zu entscheiden.

Doch sie ist nicht wie eine goldene Krone, sondern wie ein Motor, ein Antrieb aus Liebe, der zum Glück nicht abhängig ist von Öl und Gaslieferungen. Liebe geht nicht aus.

Jesus durchbricht die Gewaltspirale mit Liebe. Selbst machtbesessene Präsidenten können die Liebe nicht auslöschen auf der Welt. Und das bleibt unsere größte Hoffnung.

Immer dann, wenn pure Liebe im Spiel ist, wächst die Hoffnung für diese Welt.
Bei so gut wie jeder Taufe, darf ich das spüren. Und die Gemeinde wird es in einem Monat bei eurer Konfirmation spüren. Wer sich zu Gott bekennt, wer sich einlässt auf Jesu Weg der Liebe, der und die ist neue Hoffnung für diese Welt.

Amen.

Und der Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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