Predigt vom 30. April 2023

3. Sonntag nach Ostern – Jubilate, Johanneskirche Erlangen

Predigt: Johannes 16, 16-23a

 

16 Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen. 17 Da sprachen einige seiner Jünger untereinander: Was bedeutet das, was er zu uns sagt: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen; und: Ich gehe zum Vater? 18 Da sprachen sie: Was bedeutet das, was er sagt: Noch eine kleine Weile? Wir wissen nicht, was er redet. 19 Da merkte Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Danach fragt ihr euch untereinander, dass ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen? 20 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll zur Freude werden. 21 Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist. 22 Auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. 23 Und an jenem Tage werdet ihr mich nichts fragen.

 

Liebe Gemeinde,

I

Was ist und wie lang ist eine „kleine Weile“?

An Jubilate, am 3. Sonntag nach Ostern,

entführt uns der Predigttext noch einmal in die vorösterliche Zeit,

als Jesus am Tag vor dem Passamahl eine seiner Abschiedsreden hält.

Er spricht davon, was auf ihn und seine Jünger zukommt.

Wir erleben jedes Jahr die Passions- und Osterzeit –

wir haben eine Vorstellung von der „kleinen Weile“.

Für die Jünger aber spricht Jesus in Rätseln.

 

16 Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen:

Ein Tag vor dem Passafest bis zu Jesu Kreuzigung und Tod sind es zwei Tage.

 

abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen:

 

Von Jesu Tod bis zum Ostermorgen sind zwei Tage.

 

Aber die Zeitspanne sagt eigentlich nichts aus,

entscheidend ist, was in der kleinen Weile geschieht.

 

Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen;
ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll zur Freude werden.

 

Die kleine Weile umfasst die ganze spannungs­geladene Zeit zwischen Palmsonntag und Ostersonntag,

  • mit Hosianna und Kreuziget ihn,
  • Vater, nimm den Kelch von mir,
  • mich dürstet,
  • es ist vollbracht
  • bis zur Botschaft des Engels
    Er ist auferstanden
  • und dem Gruß des Auferstandenen
    Friede sei mit euch.

Nach Ostern ist alles anders.

Mit Jesu Auferstehung gibt es nach Todesangst, Trauer und Abschiedsschmerz etwas Neues;

 

„Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ So hören wir Paulus im Wochenspruch.

 

Wir Christen haben durch die Botschaft der Auferstehung den Glauben und die Hoffnung, dass Not sich wendet und aus Trauer Freude wachsen kann.

 

II

Was ist und wie lang ist eine „kleine Weile“ von der Traurigkeit bis zur Freude?

Sie umfasst unser ganzes Leben –

Leben, in dem sich Freude und Trauer,

Schmerz und Heilung,

Abschied und Wiedersehen,

Geborenwerden und Sterben

immer neu ereignen.

Traurigkeit, Leid und Schmerz gehören zu unserem menschlichen Dasein.

Aber wir haben die Zusage Jesu, dass unsere Traurigkeit auch wieder in Freude verwandelt werden soll –

 

Jesus vergleicht es mit den Stunden der Geburt,

wir Mütter unter uns haben es alle erlebt:

Vielleicht ging es überstürzt, so dass kaum Zeit zum Nachdenken blieb.

Oder es dauerte quälende Stunden von den ersten Wehen bis zum erlösenden ersten Schrei des lang erwarteten Babys.

Eine kleine Weile der Traurigkeit, der Schmerzen, der Angst bis zur erlösenden Freude…

das verspricht uns Jesus.

 

Die kleine Weile kann auch länger dauern und viel mehr Kraft kosten,

  • etwa nach einem Schicksalsschlag,
    wenn nichts mehr ist, wie es einmal war.
  • Nach dem Verlust der Arbeitsstelle,
  • mit einer schweren Krankheit,
  • nach einer gescheiterten Partnerschaft,
  • nach dem Tod eines geliebten Menschen ….

da muss viel Trauerarbeit geleistet werden.

 

Ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll zur Freude werden.

 

Wir können im Gebet immer wieder darum bitten

und können hoffen –

  • auf einen Neuanfang in einem neuen Beruf,
  • auf Leben mit und nach der Krankheit,
  • auf eine neue Partnerschaft
  • oder die Freude über das Lebensglück von      Kindern und Enkeln, in denen der geliebte     Verstorbene weiterlebt…

 

Eure Traurigkeit soll zur Freude werden, verheißt Jesus.

Am Sonntag Jubilate heißt das für mich,

hier und heute Momente und Gründe zur Freude bewusst wahrzunehmen,

dankbar darüber zu jubeln, gerade auch weil sie begrenzt sind.

So manche kleine Weile lässt uns jubeln,

zurzeit das Erwachen der Natur in all seiner Schönheit

oder das Erklingen eines Musikstücks.

dass ich gesund bin oder wieder gesund geworden bin,

die Vorfreude auf ein Fest oder die bevorstehende Geburt eines Menschen

oder eine geplante Reise ….

Jubilate, freut euch!

 

III

Was hat es auf sich mit dieser kleinen Weile?,
fragen sich die Jünger.

Jesus sagte ja auch, ich gehe zum Vater …?

Seine Antwort spannt sich von der Passion über Ostern, Himmelfahrt bis zu den letzten Dingen:

 

22 Auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. 23 Und an jenem Tage werdet ihr mich nichts fragen.

 

Es geht um das große Wiedersehen am Jüngsten Tag,

wenn alle Tränen abgewischt werden,

wenn die Freude der Ewigkeit angebrochen ist und alles Fragen und Zweifeln ein Ende hat.

Was ist und wie lang ist diese kleine Weile,
von der Traurigkeit unseres Daseins bis zur ewigen Freude?

Sie liegt als unabsehbarer Zeitraum vor uns.

Sie umfasst nicht nur die Spanne unseres eigenen Lebens,

sondern auch die unserer Kinder und der nachfolgenden Generationen.

 

Der Müll, der in drei Generationen Atomkraftnutzung angefallen ist,
wird die folgenden 30 000 Generationen beschäftigen, - so las ich in der Zeitung.

Viele Menschen, gerade auch die junge Generation, haben Angst um die Zukunft, berechtigterweise,

wenn möglicherweise der Klimawandel außer Kontrolle gerät

und immer mehr Gebiete der Erde unbewohnbar werden.

 

Auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.

 

Kann diese Botschaft Jesu die Menschen heute noch erreichen?

Ist das nicht nur eine Flucht vor den Problemen der Wirklichkeit,

eine Vertröstung auf ein fern gelegenes Paradies?

 

Ich meine, im Gegenteil:

Die christliche Botschaft ist ganz realistisch und auch diesseitig:

Menschliches Leben ist begrenzt. Was wir tun und schaffen, bleibt unvollkommen.

Aus dem Paradies sind wir vertrieben,

kein Mensch kann hier auf Erden ein Paradies ohne Leid schaffen.

Aber die Schöpfungsgeschichte – wir haben sie vorhin in der Lesung gehört - erinnert uns:

Wir haben die Verantwortung für die Erde,

die Pflicht, für die Zukunft der Generationen nach uns zu arbeiten,

die kleine Weile, die jedem geschenkt ist, zu nutzen.

 

IV

Was ist und wie lang ist eine kleine Weile?

In Halberstadt am Rande des Harz habe ich dafür ein anschauliches Beispiel gefunden.

Die ehemalige Klosterkirche St. Burchardi

ist nur noch ein kahles Gebäude mit Längs- und Querschiff und wuchtigen Säulen.

Ganz verloren stehen in dem leeren Raum

ein kleines Orgelgehäuse mit einigen wenigen Orgelpfeifen

und eine große Windlade.

Der Raum ist erfüllt von einem einzigen Klangakkord.

Aufgeführt wird ein Musikstück des amerikanischen Komponisten John Cage (1912-1992).

„So langsam wie möglich“ heißt es.

639 Jahre soll es dauern, bis im Jahre 2640 der Schlussakkord verklingt.

Zurzeit ist der 15. Akkord zu hören, noch bis zum Februar des nächsten Jahres.

 

„So langsam wie möglich“ gibt mir eine Ahnung von der kleinen Weile, von der Jesus spricht.

Das Musikstück erklingt in einer romanischen Kirche, sie wurde 1050 erbaut,

  • Milliarden von Jahren nach Erschaffung der Welt,
  • 1000 Jahre nach Jesu Leben.
  • Zu Luthers Zeiten war die Kirche 500 Jahre alt.
  • Sie erlebte die Säkularisation und die großen Weltkriege,
  • war im 2. WK Lazarett,
  • diente in der DDR als Lagerschuppen und Schnapsbrennerei
  • und ist jetzt Schauplatz -
    besser Hörplatz für ein ungewöhnliches Musikprojekt.

 

Die Kirche St. Burchardi und die Menschen, die hier über Jahrhunderte aus- und eingingen,

haben Freude und Traurigkeit erfahren.

Sie haben erlebt, wie die Reiche der Welt kommen und vergehen.

Etwas wie Ewigkeit ist zu erahnen.

 

„So langsam wie möglich“ dauert noch gut 600 Jahre.

So lange erklingen die Akkorde. (So ist es geplant.)

Ich spüre darin Vertrauen in die Zukunft, Lebensmut.

So wie Jesus den Jüngern und uns heute Mut zum Leben machen will.

Wenn das Musikstück verklingt –

wird dann die Traurigkeit vergangen, die ewige Freude angebrochen sein?

 

Jeder und jede kann im Leben nur ein begrenztes Stück der ganzen Komposition hören.

Nur einer hört sie ganz:

Ob der große Zuhörer ein ästhetisches Vergnügen daran hat?

Ich könnte mir vorstellen, dass er sich daran freut.

 

„So langsam wie möglich“ passt zum Sonntag Jubilate:

Jubelt und freut euch über die kleine Weile

und auf das große Wiedersehen,

… wenn euer Herz sich freuen … und niemand eure Freude von euch nehmen soll.  - Und an jenem Tage werdet ihr mich nichts fragen.

Amen.

 

                                               Prädikantin Friedegard Brohm-Gedeon

 

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