Predigt vom 14. März 2021, Lätare, Vorstellung der Konfirmanden

Predigt: Pfarrerin Dr. B. Schnupp (schwarze Schrift), Daniel Gass (CVJM Bayern, blaue Schrift)

Predigttext

Johannesevangelium Kapitel 12
20Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. 21Die traten zu Philippus, der aus Betsaida in Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollen Jesus sehen. 22Philippus kommt und sagt es Andreas, und Andreas und Philippus sagen’s Jesus. 23Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. 24Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.

Liebe Gemeinde!

I.

„Wir wollen Jesus sehen!“ –Ach, wie wünsche ich es mir, dass Leute so auf mich zugehen und das sagen: „Wir wollen Jesus sehen!“ Und dann würde ich mich mit jemanden zusammentun und dann zu Jesus gehen und diesen Wunsch weitergeben. Hm. Ehrlich gesagt, Sie und Ihr, Ihr seid nicht auf mich zugekommen mit diesem Verlangen. – Obwohl, das stimmt auch nicht. Ihr habt es nur anders gesagt. Zum Beispiel in Eurer Frage an Gott: „Warum, warum lieber Gott, gibt es so viel Leid auf der Welt?!“ Oder in Eurer Frage, warum wir Menschen überhaupt auf der Welt sind, was der Sinn ist eigentlich unseres Daseins. „Wir wollen Jesus sehen!“ so habt Ihr es nicht gesagt, aber Ihr habt Fragen an Gott gestellt, Ihr seid auf der Suche. Und ich habe mich mit Daniel Gass zusammengetan, und wir haben gemeinsam überlegt, zu Jesus selbst konnten wir nicht gehen, aber wir haben in die Bibel geschaut und wir haben gebetet und wir geben Eure Bitte weiter. Daniel, wie war es bei Dir mit dem Wunsch, Jesus zu sehen?

Ehrlich gesagt hatte ich diesen Wunsch viele Jahre meines Lebens nicht.
Ich habe die AHA-Regel, die derzeit in aller Munde ist, auf meine Weise praktiziert: Abstand – Hilfe nicht annehmen – Alltagsmaske – oder auf den Punkt gebracht:
Ich hatte ein sehr distanziertes Verhältnis zum Thema „Glaube“, habe mir zugetraut, mir selbst zu helfen und genau überlegt, wem ich was von mir zeige.
Da hat es bei mir mit knapp 15 Jahren keine AHA-Regel, sondern einen AHA-Effekt gebraucht – einige meiner Freunde waren in einem CVJM in Frankfurt am Main. Ich wollte da nie mit hin, weil ich wusste: Da geht es um Glauben. Und das ist nicht mein Thema. Eine verlorene Wette später hatte ich die Wettschuld, mind. 1 mal mitgehen zu müssen.
Und es war das Verrückteste und Genialste, was mir geschehen ist. Ich kam zur Tür rein und schneite mitten in eine Chorprobe der Jugendarbeit dort. Ich sollte direkt mal mein Lieblingslied vorsingen um zu schauen, welche Stimme ich singe (zur Info: ich war mitten im Stimmbruch).
Die Jugendlichen dort waren begeistert von Jesus.
Sie haben von ihm erzählt, Woche für Woche, immer wieder hieß es: Lern mal Jesus kennen, der ist das Beste, was mir je passiert ist.
Ganz ehrlich? Ich hatte zu viele Fragezeichen im Kopf, um das glauben zu können. „Warum so viel Leid in der Welt?“ und viele andere Fragen ließen mich nicht los.
Aber ich habe eins gemerkt:
Immer, wenn ich innerlich und in Gesprächen gesagt habe, wie viel Kritik ich an Gott habe, und wie wenig ich das glauben kann, desto mehr habe ich erlebt, dass das, was ich las und hörte, mir den Zweifel und die Angst genommen hat.
Egal wie egal mir Gott war, immer wieder wurde mir klar: Ich bin es ihm nicht. Obwohl ich bin wie ich bin.
Meine Fragen und meine Zweifel machten ihn nicht wütend.
Immer mehr habe ich in mir gemerkt: Wenn es ihn gibt (das war mir irgendwann klar), dann will ich erkennen, wie er wirklich ist. Dann wollte ich meine Vorurteile abbauen und erleben, was wirklich an ihm dran ist.
Und was soll ich sagen? In dem Moment, wo ich aufgehört habe, gegen ihn zu rebellieren und nach Gründen zu suchen, warum ich Gott nicht mag, habe ich ihn kennengelernt – als jemanden, der mein Herz und meinen Blick auf mich verändert hat. Der mir meine Arroganz, die eigentlich nur die Maske für einen verletzlichen Menschen wie mich war, genommen hat und durch Lebensfreude ersetzt.

Sodass ich mich freue, wenn wir das nächste Lied miteinander singen bzw. hören: Meine Hoffnung und meine Freude.

II.

Jesus nimmt die Bitte der Leute wohlwollend auf. „Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde.“ Wow, das ist so ein Wort. „verherrlicht“. Ich stelle mir da Glanz vor und Licht und Fanfaren und Jubel. „Verherrlicht“
Der Jesus im Johannesevangelium meint mit „verherrlicht“ doch tatsächlich zunächst mal – die Kreuzigung. Ja, da ist die Auferweckung schon immer mitgedacht. Aber trotzdem: Da, im Kreuz, da ist sozusagen die Verbindung von unten nach oben ganz dick. Da kommt das Licht herein. Unzerstörbar. Das ist das, was Jesus Christus FÜR UNS getan hat: Das Licht hereingeholt. Und wenn das Dunkel noch so groß sein mag: Dieses Licht von Gott, das ist immer da.  „Meine Stärke, mein Licht“ haben wir gerade gesungen.
Unser Christus hier in der Johanneskirche am Kreuz bringt ja eher die Schmerzen und das Dunkel rüber. Aber: Guckt sein Gesicht an: Das ist hell. Das ist das Licht der Ewigkeit, das er in alles Dunkel bringt. (Das ist dieser Gemeinde hier auch erst im Laufe der Jahre deutlich geworden, in den ersten Jahrzehnten war das Christusgesicht dunkel wie der ganze Korpus. Dann gab es eine Kunst-Aktion der Kirchenausmalung. Und in diesem Zusammenhang wurde auch das Gesicht Jesu Christi mit Stahlwolle bearbeitet und so der Glanz herausgeholt.)
Daniel, was ist Dir eingefallen zu dieser „Verherrlichung“, die den Schmerz nicht auslässt, sondern einbezieht?

Das erinnert mich an einen Moment vor knapp 1 Jahr.
Ich war mit einer Gruppe junger Erwachsener in Brasilien unterwegs (knapp 4 Wochen bevor Corona in Brasilien ankam) – wir besuchten die Kathedrale in Rio de Janeiro, die aussieht wie ein bunter Kegel. In dieser Kirche leuchtet alles.
Wenn du aber aus der Kirche hinausgehst, kann die Sonne noch so hell scheinen, es wirkt um dich herum dunkel, weil dort Massen an Obdachlosen leben. Ein Freund fragt mich: Wo ist Gott jetzt?
Diese Frage wollte ich mit der Gruppe besprechen. Wir setzten uns also auf die Treppen vor die Kathedrale und schauten über den Platz. Wir redeten miteinander, als eine junge Erwachsene aufsprang und zu einer Parkbank lief. Sie hatte etwas entdeckt.
Auf dieser Parkbank lag ein Häufchen einer dunklen Bronzestatue. Sie rief uns zu sich und als wir näher kamen sahen wir etwas Besonderes: Die Statue sah aus wie ein schlafender Obdachloser unter einer Decke.
Ein Mahnmal? Nein. Viel mehr ein Lichtstrahl an diesem dunklen Ort, denn, wenn man genauer hinschaut, an der Decke vorbei ins Gesicht, dazu musste man auf den Boden gehen, sah man das Gesicht von Jesus und seine Füsse die man sah, hatten Nägelmale. Ein Obdachloser, der in der Nähe saß, kam mit uns ins Gespräch und erzählte uns davon, dass diese Statue alles bedeutet. Weil er an ihr erkennt, dass Jesus selbst in die Dunkelheit gegangen ist, dass Menschen spüren: Er ist ihnen nahe im Leid, er duckt sich nicht weg, er flüchtet nicht. Er tat alles, damit Menschen in den dunklen Stunden des Lebens wissen: Gott ist da. Dieser Obdachlose war richtig schmutzig. Aber er strahlte. Von innen heraus. Und nicht nur er, sondern einige mehr dort.
An Rio erlebe ich: Der Jesus, der über Rio thront ist auch der, der Menschen im Leiden erreicht. Und tröstet, durchträgt und ans Ziel bringt.
Dadurch bekommen wir Ausstrahlung. Im wahrsten Sinne des Wortes. „Die Gott lieben werden sein wie die Sonne“!

III.

„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bliebt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“
Ihr kennt das: Ein Getreidekorn, in die Erde gelegt, keimt, bildet Wurzeln aus und einen Stängel. Da wachsen dann neue Körner dran. Viele. Wenn die geerntet werden, ist das Weizenkorn selbst: Weg. Verschwunden. Nicht mehr zu finden.
Ein ganz starkes Bild, das mir immer wieder den Weg ebnet, um Hingabe zu verstehen. Jesu Hingabe am Kreuz. Auch die Hingabe von Eltern für ihre Kinder. Alles, was es gibt an liebevollem Einsatz für andere: Es kostet – Zeit und Nerven und Geld. Das ist dann weg. Dafür aber sind Kinder groß geworden und danken für ein gutes Zuhause. (Das dauert ungefähr bis 23! Erwarten Sie das nicht jetzt!) Liebevoller Einsatz für andere kostet – Zeit und Nerven und manchmal auch Geld. Dafür ist dann jemand satt. Oder getröstet. Oder hat die neueste Predigt ins Haus gekriegt und die Verbindung zur Gemeinde gemerkt. Oder… Oder…
„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bliebt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“
Das Bild vom Weizenkorn hilft mir immer wieder, das Kreuz zu verstehen. Das ist am christlichen Glauben schon einzigartig, dass das Thema Leid so bearbeitet wird, dass der Religionsgründer selbst hindurchgeht. Ja, selbst den Tod erleidet.
Was meinst Du dazu, Daniel?

Es überzeugt mich. So etwas denkt sich kein Mensch aus, der eine Religion erfinden möchte. Das ist so anders, dass es nur Gott sein kann, der so denkt und so handelt.

Und es macht mich beinahe sprachlos (und das ist ziemlich schwer).
Es macht mich sprachlos, weil es mich fasziniert und tief bewegt, weil es derart meine Lebensperspektiven verändert.
Wenn Jesus für mich durch dieses Leiden durchgeht, den Tod besiegt und als Auferstandener regiert, dann bedeutet das für mich und dich doch, dass ich weiß: Leiden, Schmerzen, Scheitern hat immer nur das vorletzte Wort über mich.
Manches Leid wirkt überwältigend. Mancher Zweifel wie ein Wellenberg, der sich vor mir auftürmt. Aber über allem regiert der Auferstandene Christus!
Das macht manches nicht leichter, das gebe ich zu. Vieles tut immer noch brutal weh.
Aber ich weiß: Es ist kein endloser Schmerz. Keine aussichtslose Situation. Nicht so dunkel, dass Gottes Licht nicht hineinkommen kann.
Das muss ich mir selbst von Zeit zu Zeit immer mal wieder ins Herz reden lassen, darum sage ich es auch heute dir.
Und manchmal helfen Lieder, die mir das sagen. Ein Lied höre ich im Moment oft. Es heißt „The Fathers House“. Es singt davon, dass wir bei Gott zuhause sind. Dass wir das, was belastend war, an der Tür ablegen dürfen und irgendwann ganz bei und mit ihm sein dürfen.
Und dann lautet ein Vers: „The story isn’t over, when the story isn’t good“ (dt.: „Die Geschichte ist nicht vorbei, wenn sie nicht gut ist“).
Und das zeigt mir: Gott hat alles, sich, hingegeben und ist in die tiefe Dunkelheit des Leidens und des Todes gegangen, und er wird es auch vollenden, für dich und mich.
Und bis dahin darfst du wissen: Gott ist unsere Zufluchtsort. Bei ihm sind in guten Händen.

Und wenn es dir geht, wie den griechischen Juden, die kamen und Jesus sehen wollen, dann sei herzlich eingeladen, mit ihm Gemeinschaft zu haben, zu beten, sein Wort zu lesen und ihn dort zu sehen!

… Du bist mein Zufluchtsort.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Letzte Aktualisierung