Predigt vom 29. Mai 2022

Predigt Exaudi 29. Mai 2022
Römer 8, 26-30
Johanneskirche Erlangen

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen! Amen.

Liebe Gemeinde!

I Der Ranuu

Bei meinen Eltern hängt im Flur ein dicker, gewebter Teppich aus Finnland. Ranuu heißen die. Wunderbares Kunsthandwerk. Starke Farben hat dieser Wandbehang, Blautöne, starke, kräftige, dunkle Blautöne nehmen Feld und Wald auf, ein ganz schmaler weißer Streifen steht für den Horizont, darüber dann Rottöne, helle und dunkle – ein Sonnenaufgang oder ein Sonnenuntergang?

Unser Predigttext heute ist wie ein Ausschnitt aus solch einem dichten Gewebe.

Ich lese aus dem Brief des Paulus an die Gemeinde in Rom. Aus dem 8. Kapitel, die Verse 26-30:

Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf.

Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt,

sondern der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen.

 27 Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er tritt für die Heiligen ein, wie Gott es will.

 28 Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen,

denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.

 29 Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern.

 30 Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht. (Rom. 8:26-30 L17)

Wir beten in der Stille um den Segen des Wortes.

„Herr gib mir ein Wort für mein Herz und ein Herz für dein Wort. Amen“

Liebe Gemeinde!

Einen kleinen Ausschnitt haben wir hier von einem großen, großen Gewebe. Wir gehen zunächst wenigstens einem „Leitfaden“ nach, vielleicht ist es der schmale weiße Faden, der auf den Horizont hinweist:

Nein, keine Angst, es gibt jetzt keinen Überblick über den ganzen Römerbrief. Aber ein paar Verse vorher setzt ein wichtiger Gedankengang ein, der ein paar Verse später zum krönenden Abschluss kommt. Und das ist ein Faden, der uns in unseren Tagen den Horizont öffnen kann:

II Der Horizontfaden

Um Leben und Frieden kreist Paulus in seinen Gedanken und dann kommt er zu einem bemerkenswerten Satz: „Ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.“

„Dieser Zeit Leiden“ – ach ja, da passt so vieles drunter. „Dieser Zeit Leiden“ – was wäre das für Sie, für Euch, heute früh? Die Nachrichten aus dem Radio oder aus dem Netz? Gräßliche Kriegsbilder oder einfach das Herzklopfen beim Aufwachen? Die Sorge um andere Menschen oder um sich selbst? Die Sorge um die Zukunft unserer Welt? „dieser Zeit Leiden“ – ja, da gibt es eine Menge.

Die werden nicht bestritten, diese Leiden. Aber ihr Gewicht wird ihnen genommen: Da gibt es eine Herrlichkeit, einen Glanz, eine Schönheit, die werden noch kommen, das ist jetzt noch nicht sichtbar – aber schon da! – das wird dann aufgedeckt werden – dann werden wir merken. Dieser Zeit Leiden haben keine Schwere mehr.

Interessant und sehr bemerkenswert finde ich, dass Paulus dann „dieser Zeit Leiden“ konkretisiert an der Schöpfung, die seufzt und wartet. Zur Schöpfung – da gehören die Pflanzen dazu und die Tiere und die Menschen und die Berge und...

Die ganze Schöpfung seufzt unter „dieser Zeit Leiden“. Ja.

Dann kommt Paulus zum Geist und zur Berufung – das sind unsere Verse für heute – Im Anschluss steigert er sich zu unglaublich starker Zusage: „Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?!“ „Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“

So, das war der große Leitfaden heute: Von „dieser Zeit Leiden“ bis hin zur Zuversicht: „Nichts kann uns scheiden von Gottes Liebe.“ Eine grundlegende Orientierung

Jetzt kommen zwei Blicke in Detail, in die Verse, die für heute ausgewählt wurden:

II Ein Blick aufs erdige Blau

Wie beten Sie? Darüber könnten wir sicher lange sprechen und es kämen viele unterschiedliche Aspekte zusammen. Von der einen, die jeden Tag mit einem Morgenlied beginnt über den anderen, der immer beim Laufen das Vaterunser betet, immer wieder, über die dritte, die am Abend das Gebet aus Kindertagen spricht bis zum vierten, der im Gottesdienst die Gebete mitträgt zur fünften, die sich bewusst Zeit nimmt und Gott alles sagt, was ihr auf dem Herzen liegt... Und so weiter, es gibt da viel!

Alle Betenden aber kennen auch Situationen, wo ihnen die Worte zum Gebet fehlten und nicht nur die Worte, sondern auch die Haltung dazu –

Zeiten der Trockenheit und des Ausgelaugtseins und der Zweifel, ja der Hoffnungslosigkeit.

Wie gut, dann zu wissen: Der Geist selbst betet für uns, tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen.

Immer wieder hat mich das getröstet: Dass es in mir betet, wenn ich selbst es nicht kann.

Es betet in mir – so reißt die Beziehung nicht ab.

Ja, ein großer Trost, gerade in „dieser Zeit Leiden“

Das ist der eine Blick ins Detail, auf eine Stelle voller dichter, dicker, dunkel, dunkelblauer Fäden.

Nun der nächste Detailblick geht zum Rot, zum tiefen Rot.

III Ein Blick aufs flammende Rot

Zwei Worte sind es im Griechischen, drei im Deutschen – ein Leben lang aber können wir auf diesen Worten herumkauen: „die Gott lieben“. Übers Gebet können wir sprechen. Aber über die Liebe zu Gott, können wir darüber sprechen?

Ich stehe auf dem Hesselberg. Genau an der Stelle, an der man rundum blicken kann. Weit blicken kann. Viel Grün ist zu sehen, sanfte Hügel steigen an, rotgedeckte Häuser kuscheln sich zu Dörfern zusammen, der Himmel ist blau mit weißen Wolken und alles ist so schön, dass es weh tut – danke, Gott!

Ich stehe am Bett eines schwer atmenden Kindes, es ist klein, es ist nicht hübsch, seine Eltern fehlen gerade, ich lege vorsichtig meine Hand auf die kleine Brust, der Atem wird etwas ruhiger – Gott, du bist da, hier in diesem Kind.

Ich bin jung und unglücklich verliebt. Ich weine. Eine Freundin kommt, nimmt mich in den Arm, weint einfach mit. Mehr nicht. Du bist ein Gott, der mich sieht.

Da, wo solche Liebe ist, wirkt alles zum Guten zusammen – in den Tränen über „dieser Zeit Leiden“ ist Gottes Kraft verborgen, die Gutes werden lässt.

IV Eine Ergänzung

Jetzt haben wir einen größeren Leitfaden in Weiß und zwei Detailblicke in Blau und Rot. Jetzt sollte ich zu Ende kommen. Trotzdem muss ich noch kurz etwas sagen zu diesem „berufen“ „ausersehen“ „vorherbestimmt“. Weil ich selbst lange, lange Jahre diese Worte immer mit Verunsicherung gehört habe: Bin ich denn berufen? Gehöre ich denn zu diesem erlesenen Kreis? Paulus hat dies genau mit einer anderen Absicht geschrieben. Er wollte genau nicht verunsichern, sondern versichern. Er wollte klarstellen, dass es bei Gott eben nicht so ist: „Du machst das- und das und das – und dann bist du o.k.“ Sondern dass wir uns darauf verlassen können: Gott hat uns gesehen – und gerufen – und bestimmt – Da gibt es keine Leiter zu erklimmen, da können wir uns einfach hingeben. Nicht wir haben irgendetwas anzufangen, Gott hat angefangen mit uns, Jesus Christus hat gewirkt, da waren wir noch nicht mal auf der Welt, wir sind ihm zugehörig seit der Taufe – da wussten wir noch kaum von ihm oder von uns...

V Der Ranuu

Im Flur hängt der dicke, fest gewebte Wandteppich. Erdige Blautöne – ein Hinweis auf den Horizont – Feurige Rottöne.

Immer wieder Erinnerung beim Hinausgehen und Hereinkommen: An den Geist, der mit unaussprechlichem Seufzen für uns eintritt, an die Liebe zu Gott, an den Horizont, der von „dieser Zeit Leiden“ reicht bis dahin, dass nichts uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist.

Ein Gewebe voller Glauben, Hoffen und Lieben.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

                                                         Dr. Bianca Schnupp

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