Predigt vom 12. November 2023

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres, 12. November 2023
Gedenken an Franz Krautwurst

Römer 8,18-25

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

 

Wir beten in der Stille um den Segen des Wortes.

„Herr, gib mir ein Wort für mein Herz und ein Herz für dein Wort. Amen.“

 

Liebe Gemeinde!

I Vom Seufzen

[seufzen] [und nochmal]

In diesen Tagen und Zeiten kann ich manchmal nur noch seufzen.

Seufzen – das Wort ist wunderbar lautmalerisch. 

Ein tiefer Umlaut, zwei harte Konsonaten. Es geht so nach unten. 

Ja, dieser Zeit Leiden lassen einen manchmal nur noch seufzen.

Immerhin: Wer intensiv seufzt,, der atmet dann automatisch wieder ein. Damit wird die Grundfunktion des Lebens erhalten,  so lässt sich schon etwas durchstehen.

Seufzen ist auf jeden Fall besser als hyperventilieren oder die Luft anhalten.

Noch besser als seufzen ist es, gemeinsam zu seufzen. Wir teilen den Kummer, die Ratlosigkeit, die Sorge.

[seufzen]

 

II Das Seufzen nicht überlesen!

Warum rede ich so ausführlich vom Seufzen? – Weil ich es selbst in dem wunderbaren Predigttext für unseren Sonntag heute fast überlesen hätte. Und Sie sollen es jetzt nicht überhören! Ja, Sie sollen sich sogar zum Seufzen noch ein Wort dazudenken, nämlich: „Gemeinsam“. Das hat Luther unterschlagen, das „gemeinsam“. Es kommt ja auch sonst vor im Text und also schon rüber, aber im Vers 22 gehört eigentlich noch ein „mit uns gemeinsam“ hinein, die Schöpfung seufzt und liegt in Wehen – gemeinsam mit uns.

Ich lese also den Text, er steht in dem Brief des Paulus an die Gemeinde in Rom, im Kapitel 8:

18 Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. 19 Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. 20 Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit – ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat –, doch auf Hoffnung; 21 denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. 22 Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung [mit uns gemeinsam] bis zu diesem Augenblick seufzt und in Wehen liegt.

23 Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes. 24 Denn wir sind gerettet auf Hoffnung hin. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht? 25 Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld.

 

III Was hätten wir gerne anders, wenn wir seufzen? Oder: Wohin streckt sich unsere Sehnsucht aus?

Also, haben Sie es gehört, das Seufzen?

Es ist das Besondere hier in diesem Text, dass wir Menschen nicht alleine seufzen, sondern die ganze Schöpfung mit uns! Die Nashörner und die Amseln, das Wiesenschaumkraut und die Silberdistel, die Mammutbäume und die Fichten, Gletscher und Korallenriffe – alles seufzt mit uns.

Die Gründe zum Seufzen, die brauche ich gar nicht auszählen, einmal Nachrichten hören genügt. (Paulus nennt hier als Stichworte „dieser Zeit Leiden“ und die „Knechtschaft der Vergänglichkeit.“)

Wohin aber richtet sich denn nun die Sehnsucht des Seufzens? Ach ja, auch da könnten wir mindestens die Richtung angeben. Und wären dann wohl gar nicht weit weg von dem, was Paulus hier schreibt: Geliebte Menschen gesund und glücklich zu wissen. Selbst glücklich und gesund zu sein. Die menschliche Begrenztheit loszuwerden, die denkt „entweder der – oder ich“. Die Vergänglichkeit loszuwerden, die an allem nagt. Den Glanz der Schöpfung zu erleben, das Nashorn ohne Sorge um sein Überleben, die Korallenriffe in glänzenden Farben, ach, mit den Löwen zu spielen ohne Angst -
Jetzt male ich schon sehr aus – Paulus ist da zurückhaltender. Das Seufzen streckt sich aus nach Gottes Glanz, nach der Freiheit der Gotteskinder, so sagt er und fügt gleich an, dass man das eben nicht sehen kann, die Hoffnung, die streckt sich nur aus. Musik kann den Gottesglanz vielleicht am besten wiederspiegeln, sie ist ja selbst unsichtbar und erhellt doch unser Herz. 

Franz Krautwurst hat viele Loblieder komponiert. Biblischen Lobgesängen Melodien gegeben. „Ich will dem Herrn singen, so lange ich lebe und meinen Gott loben, solange ich da bin!“ (Psalm 104,33 = Ps 146, 2 u.ö.) Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder! Es ist gute biblische Tradition, auch dann Loblieder zu singen, wenn man sich nicht unbedingt danach fühlt. Es soll einfach etwas vom Gottesglanz durchleuchten. Unsere Sehnsucht wird besungen.

IV Hoffnung heißt: Nix sehen. Hoffnung heißt Widerstand.

Also, sehen können wir die Hoffnung nicht. Wir warten drauf. In Geduld. Nein, falsch: Die Geduld hilft uns beim Warten. Durch die Geduld warten wir ab. Oder, ganz rasant übersetzt: „Unser Widerstand gibt uns die Kraft, darauf zu warten.“ Erst dachte ich, das ist eine vollkommen falsche Übersetzung. Ist es aber nicht. Die Standhaftigkeit, die Ausdauer oder eben: der Widerstand – das ist unser Warte-Instrument. Ja, wenn man anerkennt: „Es ist eben so.“ Dann gewinnt man Ausdauer. Seufzen und ausatmen und dann wieder einatmen. Das gibt den langen Atem. Um auf die Hoffnung zu warten. 

Diese Geduld und Ausdauer, die habe ich aus allen Erzählungen über Franz Krautwurst herausgehört. Anerkennen, was ist. „Es ist eben so.“ Seufzen und ausatmen und so fast automatisch wieder einatmen. So hat er die Schwierigkeiten und Schicksalsschläge in seinem Leben angenommen und hat weiter gemacht. Hatte es nie nötig anzugeben mit seinem Wissen und Können. Lebte in aller Ruhe der Hoffnung. Die man nicht sieht. Aber man kann davon hören. Und doch gelegentlich auch etwas erleben: Als Witwer seine Jugendliebe wieder treffen… Und dabei eben zu wissen: Auch das ist der Vergänglichkeit unterworfen. Auf die Freiheit der Gotteskinder warten wir noch. 

V. Gemeinsam in Wehen liegen

Das Seufzen haben wir nicht überhört heute. Und da war noch was. Ein wunderbares Bild: Gemeinsam in den Wehen liegen. Ja, wenn eine Frau Wehen hat, dann ist es gut, wenn sie eben nicht alleine ist. Wenn Menschen dabei sind und mit ihr stöhnen und tönen und ihr zum Atmen helfen. 
In den Wehen liegen- das ist auch ein trostreiches Bild. Denn die Wehenschmerzen, das sind nun mal wirklich Schmerzen, die sich lohnen. Und die dann auch wirklich vorbei und vergessen sind, wenn das Kind da ist. Heutzutage können werdende Mütter ihr Kind ja schon im Bauch angucken durch die guten Ultraschallgeräte. (Und wenn sie die Väter mitnehmen, können die auch einen Blick in den Bauch werfen.) Das war in der Antike ja noch gar nicht möglich, man konnte nix sehen von dem Schönen, was kommt. Nur einen dicken Bauch. Und Schmerzen, Schmerzen, Schmerzen miterleben. Und dann – kam das Kind, was für ein Wunder!

Es kann manchmal helfen, die Schmerzen unserer Tage so einzuordnen: Es kommt was ganz Schönes nach!

Damit sind wir wieder am Anfang, beim Seufzen. Manchmal formen sich Laute beim Seufzen: oje. Oje! Ojemine!

Haben Sie gewusst, dass das Abkürzungen für Jesus sind?! 

Oje: O Jesus! Ojemine: O mein Jesus!

Und das passt dann ganz wunderbar: Sich im Seufzen dem anzuvertrauen, der den Tod schon kennt. Ja, an den man sich hängen kann und der einen durch den Tod hindurchziehen wird in sein Leben hinein.

Oje.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

                                      Pfarrerin Dr. Bianca Schnupp 

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