Predigt vom 5. März 2023

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Wir beten in der Stille um den Segen des Wortes.

„Herr, gib mir ein Wort für mein Herz und ein Herz für Dein Wort. Amen.“

Liebe Gemeinde!

Es gibt Dinge in unserer Welt, in unserem Leben, und ja, auch in der Bibel, die ertrage ich nur, weil es Ostern gibt. Es gibt Dinge in unserer Welt, in unserem Leben und ja, auch in der Bibel, die ertrage ich nur, weil Jesus Christus die Gewalt erlitten hat und den Tod, die Hölle durchschritt und ins Leben ging. Weil Jesus Christus die Seinen mit sich zieht durch den Tod hindurch ins Leben. Weil eben am Ende das Leben steht – oder besser gesagt: Am Anfang. Am Anfang von etwas ganz Neuem.

Worte für das ganz Neue lagen schon bereit in alten Gebeten. Und werden bis heute gebetet und verstanden. So ein Wort ist das vom Stein, den die Bauleute verworfen haben und der zum Eckstein wurde. Auch ohne Architekturberatung erspüren wir instinktiv den Sinn: Da wurde ein Stein angeguckt, gewendet, die Mundwinkel abschätzig nach unten gezogen und der Stein weggeworfen. Taugt nix. Aber genau dieser Stein gelangte wunderbarerweise in das Fundament und siehe da: Dieser Stein trägt alles, das ganze Gebäude!

„Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden!“ – so wurde schon in der allerersten Gemeinde zu Ostern gesungen.

Da wurde ein unwichtiger Wanderprediger in einem unbedeutenden Winkel des römischen Reiches umgebracht, ermordet, weil es den Mächtigen so passte – und genau der lebt und bewegt Menschen und bringt sie zusammen über die harten Klassengrenzen der Antike hinweg, über die Religionsgrenzen hinweg. Dieser Jesus Christus trägt die Welt – oft verborgen, völlig verborgen, aber eines Tages, das wird es sichtbar.

Nur deshalb kann ich so manches in unserer Welt und in unserem Leben ertragen und ja, auch manches aus der Bibel wäre sonst nicht zum Aushalten.

Welche Dinge in der Welt und im Leben so schwer erträglich sind, dazu fallen uns allen hier sofort Beispiele ein. Aber schwer Erträgliches in der Bibel?

Ja, unser Predigttext gehört für mich dazu, auch gerade mit seiner oft schrecklichen Wirkungsgeschichte. Und ich bin heil-froh über den Osterhinweis am Ende des Gleichnisses.

Aber hören Sie selbst!

Ich lese Markus 12, 1-12

1 Und Jesus fing an, zu ihnen (den Hohepriestern, Schriftgelehrten und Ältesten) in Gleichnissen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes.
2 Und er sandte, als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs nähme.
3 Da nahmen sie ihn, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort.
4 Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht; dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn. 5 Und er sandte einen andern, den töteten sie; und viele andere: die einen schlugen sie, die andern töteten sie.
6 Da hatte er noch einen, den geliebten Sohn; den sandte er als Letzten zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen.
7 Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein!
8 Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg.
9 Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben.
10 Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen: »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. 11 Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen«?
12 Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, dass er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon.

Ein schwer erträgliches Gleichnis. Es könnte glatt aus den täglichen Nachrichten kommen: Einer hat Gutes vor. Pflanzt einen Weinberg an, baut alles, damit der Weinberg guten Ertrag bringen kann: Einen Schutzzaun und einen Wachturm, damit wilde Tiere ferngehalten werden. Eine Anlage zum Keltern. Er setzt vertrauensvoll Leute ein für die verantwortungsvolle Arbeit im Weinberg. Die tun die Arbeit auch, aber ihren Arbeitgeber lassen sie leer ausgehen. Weder Wein noch Trauben kriegen schicken sie. Nein, sie sind brutal egoistisch. Gemeinheit und Gewalt eskalieren.
Und wenn man die Weltlage so anschaut, mag man der Konsequenz des Weinbergbesitzers von Herzen beistimmen: Er wird die Weingärtner umbringen und den Weinberg anderen geben. Ja, die Bösen müssen vernichtet werden!

Schwer erträglich, dass die Gewalt mit Gewalt besiegt wird. Auch schwer erträglich die Wirkungsgeschichte dieses Gleichnisses: Immer wieder wurde es judenfeindlich gelesen.

Die Juden – sie haben die Propheten verworfen und den Heiland getötet! Dafür sollen sie büßen – und schon fand das nächste Pogrom statt, ging es den Nachbarn mit der anderen Religion an den Kragen, wurden sie beraubt, vertrieben, misshandelt, getötet.

Nee, so kann dieses Gleichnis Jesu nicht gelesen werden! So nach dem Motto „wir sind die Guten –wir stehen irgendwo daneben und hören zufrieden, wie die anderen eines auf die Mütze kriegen“. Wir können Jesu Gleichnis nicht so hören „wir sind die Guten – die anderen sind die Bösen!“ Letzte Woche haben wir die Geschichte bedacht, in der es heißt: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!“ Das heißt auf die Weingärtner angewandt: Ja, wenn wir überlegen, wo wir vorkommen im Gleichnis, dann können wir uns nicht beobachtend herausnehmen. Wenn wir ehrlich sind zu uns selbst und zu Gott, dann werden wir immer wieder erschrecken: Wo haben wir dich, Gott, um die Früchte deiner Arbeit gebracht? Deine schöne Erde nicht bewahrt, sondern ausgebeutet. Nicht geteilt von den Früchten der Erde, sondern gerafft. Meins! Nicht für Frieden und Zusammenhalt gewirkt, sondern munter aufeinander losgegangen. Dir und deiner Kraft nichts zugetraut, sondern uns versteckt hinter unseren Kirchenmauern...

Wir werden die Geschichte der Judenfeindschaft immer wieder bedenken müssen, höchst selbstkritisch bedenken müssen: Warum wurde das Psalmzitat vom dem Stein, der zum Eckstein wurde, immer wieder judenfeindlich gelesen? Warum wurde nicht die Verwendung im Epheserbrief maßgeblich, wo der Friede betont wird, den dieser Eckstein gebracht hat für die Nahen und für die Fernen?

Schwer erträglich ist vieles in unserer Welt und in unserem Leben und ja, sogar in der Heiligen Schrift. Schwer zu ertragen sind auch die eigenen Abgründe. Wie oft fliegen deshalb Steine gegen die anderen, weil es einfacher ist einen Stein zu werfen als in den eigenen Abgrund zu schauen! Zum Glück haben wir aber auch diese Tradition im Christentum. In dem Lied o Haupt voll Blut und Wunden, da heißt es auf die Frage: „Wer hat dich so zugerichtet?“ ganz ehrlich und selbstkritisch „ich und meine Sünden“ – Wer so selbstkritisch ist, geht hoffentlich auch mit anderen barmherzig um. Wichtig dabei: Diese Selbstkritik muss nicht selbstzerstörerisch sein. Unter dem Kreuz kann ich mich den eigenen Abgründen stellen, ohne von ihnen verschlugen zu werden. Jesus Christus sagt: „So verurteile ich dich auch nicht. Geh hin und sündige hinfort nicht mehr.“

Mich hat letzte Woche eine Nachricht einer Freundin erreicht, ihr Vorsatz für die Fastenzeit: „Mit mir selber und anderen barmherzig umgehen.“ Ja.

Vieles ist schwer zu ertragen in unserer Welt, in unserem Leben, in der Heiligen Schrift – und in uns selbst. Wie gut, dass wir uns da einfach anhängen können an den, der Eckstein ist und Grund unseres Lebens, der uns durch alles Schwere hindurchträgt und in sein Leben hineinzieht!

Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden. Das ist vom Herrn geschehen und ist ein Wunder vor unseren Augen.

Wir gehen von Ostern her in die Passionszeit hinein und durch sie hindurch auf Ostern zu. Gott sei Dank.

Amen.

Pfarrerin Dr. Bianca Schnupp

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