Predigt vom 5. Dezember 2021

Predigt

Pfarrerin Ulla Knauer

2. Advent (05.12.2021)

Predigt zu Jesaja 63,15 – 64,3

 

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

Das Licht und die Stimme

Im Advent, im Winter, da entzünden wir gerne ein Licht. Eine Kerze. Klein und friedlich, das kleine lebendige Licht. Ein Stück Hoffnung, ein Stück Frieden an langen dunklen Wintertagen. Wenn man sich mit dem Licht näher beschäftigt, merke ich, dass es zwei Erscheinungsarten hat. Diese friedliche, leise Art. Und eine grelle, erschreckende Art. Es gibt auch bedrohliche Lichtereignisse. Blitzeinschläge bedrohen das Zuhause einer Familie. Grelles Licht kann blenden, und mich vom Weg abbringen. Feuer in der Natur bringt Zerstörung und raubt Lebensraum.

Wie das Licht, so ist auch die Stimme. Sie kann leise und friedlich ertönen. Singen, erzählen, danken. Die Stimme kann an anderer Stelle laut werden, schrill, polternd, zornig. Sie kann schreien, und um Hilfe rufen. Sie kann brüllen, und wie bei kleinen Kindern ihrer Wut und ihrem Ärger Ausdruck verleihen.

Der Predigttext, ein eindringliches Gebet

Einen Gebetstext haben wir heute vor uns. Er ist mit lauter Stimme geschrieben worden. Er ist laut und eindrücklich. Er klagt an und schreit nach Gottes Eingreifen. Inmitten einer Situation völliger Zerstörung und Heimatlosigkeit. Wir befinden uns im 6. Jahrhundert vor Christus. Der Tempel und die Stadt Jerusalem liegen in Trümmern. Die Menschen vertrieben oder im Exil. Hören wir ihre Stimme in Jesaja 63 und 64:

So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich. 16 Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht. Du, HERR, bist unser Vater; »Unser Erlöser«, das ist von alters her dein Name. 17 Warum lässt du uns, HERR, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten? Kehr zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Erbe sind! 18 Kurze Zeit haben sie dein heiliges Volk vertrieben, unsre Widersacher haben dein Heiligtum zertreten. 19 Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde. Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen, wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, dass dein Name kundwürde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müssten, 2 wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten, und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen! 3 Auch hat man es von alters her nicht vernommen. Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohltut denen, die auf ihn harren.

Sehnsucht

Drastisch, fordernd und ehrlich hören wir die Stimme der Menschen, die alles verloren haben. Hören ein Gebet, das nach dem Eingreifen Gottes ruft. Nicht nur vor 2600 Jahren wurde so gebetet. Auch heute beten Menschen mit ähnlichen Worten in verzweifelten Situationen. Denn wie sonst sollen Menschen beten, die hungern oder auf der Flucht sind, die unschuldig im Gefängnis sitzen, oder um ein krankes Familienmitglied bangen.

Es gäbe noch so viele Situationen mehr.

Gemeinsam ist ihnen allen: Die Sehnsucht nach etwas Anderem. Das kann es doch nicht gewesen sein. Das kann doch nicht das Leben sein, diese Katastrophe. Gemeinsam ist ihnen die Sehnsucht, die tief menschliche Sehnsucht, die alle Menschen auf der Welt verbindet: nach Sicherheit, nach einem Dach über dem Kopf, einem Zuhause, genug zu Essen.

Menschlicher Wunsch nach einem „verfügbaren“ Gott

Die Krux an diesem Gebet, und diesem Flehen: Die betenden Menschen, damals wie heute, können über Gott nicht verfügen. Sie können ihn nicht herbestellen, so gerne sie sich ein Wunder, wie damals am Schilfmeer, beim Auszug aus Ägypten, wünschen.

In diesem Wunsch, steckt auch der Wunsch, Gott beweisen zu können. Wenn er sich jedem sofort zeigen würde, auch den Feinden Israels damals, so die Idee, dann gäbe es den Streit nicht. Dann würden die Nachbarn mit ihren Angriffen sofort aufhören und sich zu diesem Gott bekennen, wenn sie ihn nur selbst erfahren würden. Diese Wunschlogik hören wir heraus.

In der Vergangenheit gab es die verschiedensten Versuche Gott zu beweisen. Ob es gelingt, sei dahingestellt. Es braucht die eigene Begegnung mit jenem Gott, den ich als meinen König in mein Leben lasse.

Und umgekehrt, könnte ich ihn schnell mal beweisen, würde ich ihn klein machen. Vorzeigbar, wie meinen Personalausweis im Geldbeutel oder die Mitgliedskarte vom Sportverein. Gott lässt sich aber nicht klein machen, und er passt auch nicht in eine Tasche.

Was bleibt? Lohnt sich nun das Beten, zu diesem geheimnisvollen Gott?

Ein Telefongespräch

Vor wenigen Wochen hatte ich ein Telefongespräch. Ich sprach mit einer Freundin, deren Mutter, trotz 2facher Impfung, an Corona schwer erkrankt ist, und auf Intensiv liegt. Sie können sie nicht besuchen. Sie können nicht mit ihr sprechen. Es bleibt der tägliche Telefonanruf auf der Station, das tägliche Bangen. Zum Glück hat sich die Situation ein wenig stabilisiert, aber es ist noch nicht gut. Seit Wochen geht das so. Meine Freundin sagte dann am Telefon: Ulla, wir beten jeden Tag. Jeden Tag bitten wir Gott. Ich kann es nicht begreifen, warum nichts geschieht.“  Wo ist Gott? Wie ist Gott? Auch ich als Pfarrerin kann auf manche Frage nicht schnell und einfach antworten. Es blieb ein Moment der Stille, den wir beide aushielten. Dann sprach sie weiter: Aber wir werden weiter beten. Jeden Tag.

Wie wertvoll waren diese Worte. Gott bleibt geheimnisvoll, einerseits. Aber an seiner Existenz und an ihrer Verbundenheit mit ihm zweifelte meine Freundin keinen Moment lang.

Die Wendung im Gebet: wir bleiben in Gottes Verheißung

Und um diese Beziehung geht es. Schauen wir noch einmal zu Jesaja: Im Gebet vollzieht sich eine plötzliche Wendung. Nachdem der Sprecher auflistet, was Gott doch tun könnte: Den Himmel zerreißen, oder ein Feuer entfachen, oder die festen Berge zerfließen lassen. Irgendetwas eindrückliches, riesiges, das jeden Zweifel besiegt. Da wird es plötzlich still.

Und es folgt: Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohltut denen, die auf ihn harren.

Man könnte auch sagen: Ich weiß nicht, wer du bist und wann du kommst. Aber ich vertraue dir. Ich weiß, du bist da.

Auch wir, viele Jahre später, sind doch entsetzt und ohnmächtig angesichts der Krisen, Gewalttaten und Nöte in der Welt und auch hier in unserem Land. Das Gebet darf laut sein, wenn wir es brauchen. Wie Gott reagiert, wissen wir nicht. Dass wir aber zu ihm kommen können, mit allen Emotionen und Worten, dass er unsere Bitterkeit und unseren Schmerz aushält, dazu lädt uns der Predigttext ein. Wir dürfen loben und danken, aber wir dürfen auch klagen und bitten. All das hat seinen berechtigten Platz im Gebet. Und wenn wir anfangen zu beten, hören wir auf zu schweigen. In uns fängt eine Veränderung an. Je mehr wir beten, desto mehr Vertrauen wächst in den Einen. Selbst wenn er Geheimnis bleibt.

Und damit unsere Möglichkeiten.

Der Advent, das Warten, bleibt nicht ohnmächtig, angesichts einer immer noch gewalttätigen Welt. Der Wochenspruch sagt es schon: Wir sollen den Kopf heben und schauen, was da kommt. Jesaja bleibt bei diesem Gebet auch nicht stehen.

Wer in der Bibel weiterblättert, liest von dem alttestamentlichen Gott, der mit Zorn regiert, aber nicht nur. Er bietet eine Verheißung. Blättert man weiter, wird diese Verheißung beschrieben:

Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird. Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens. 20 Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben, 21 Sie werden Häuser bauen und bewohnen, sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen. 25 Wolf und Lamm sollen beieinander weiden;. Man wird weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der HERR.

Der 2. Advent lädt uns ein, am Gebet festzuhalten, mit allen Emotionen, die dazu gehören. Denn wir können vertrauen: Gott hält an seinem eigenen großen Ziel fest, jener Verheißung, seiner neuen Welt. Und wir dürfen Anteil daran haben.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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