Predigt vom 23. Mai 2021 Pfingsten

23. Mai 2021 Pfingstsonntag Genesis 11,1-9 Johanneskirche Erlangen

Liebe Gemeinde!

[Alle Tage ein Wunder, direkt gewirkt vom Heiligen Geist: Das Verstehen]

Täglich geschehen Wunder. All-Tags-wunder sozusagen. Jeden Tag neu. Jeden Tag wieder. Dass wir uns verstehen, das gehört zu den All-Tags-Wundern. Da können wir alle Tage das Wirken des Heiligen Geistes be-wundern.

Ich gehe in den Kindergarten. Ich habe die Maske auf. Ich sehe ein Baby im Kinderwagen. Ich lächle es an. Mit Maske. Aber das Baby lächelt zurück, so als hätte ich keine Maske auf.

Ein All-Tags-Wunder – Verstehen – direkt gewirkt vom Heiligen Geist.

Wir haben die wunderbare Geschichte vom Verstehen gerade gehört: „Sind nicht diese alle, die da reden, Galliäer? Wie hören wir sie denn ein jeder in seiner Muttersprache? Parther und Meder und Elamiter …“ und so weiter und so weiter… Ja, von Anfang an waren die, die Gott herausrief zu seiner Kirche –Ekklesia, das sind die, die herausgerufen sind – Von Anfang an waren das höchst unterschiedliche Leute. Und der Heilige Geist hat das Verstehen gewirkt. Und wirkt es. Bis heute.

Erlangener Ureinwohner und Leute aus dem hohen Norden und eine Pfarrerin aus „Urste“ und ein Kirchenvorsteher aus Kamerun und Leute, die alles können außer Hochdeutsch und so weiter – Gott hat uns zusammengerufen. Gottes Geist wirkt. Immer wieder. Wir verstehen uns. Welch ein Wunder, alle Tage!

[Urgeschichte erklärt uns die Welt. Heute: Woher die vielen Sprachen kommen.]

Wie kam es eigentlich zur Verteilung der Menschen auf der Welt und zu den vielen unterschiedlichen Sprachen? Da gibt es eine Urgeschichte. Sie steht im 1. Buch Mose im Kapitel 11, die Verse 1-9:

Genesis 11:1 Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache.

 2 Als sie nun von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst.

 3 Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! – und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel

 4 und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut über die ganze Erde.

 5 Da fuhr der HERR hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten.

 6 Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun.

 7 Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe!

 8 So zerstreute sie der HERR von dort über die ganze Erde, dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen.

 9 Daher heißt ihr Name Babel, weil der HERR daselbst verwirrt hat aller Welt Sprache und sie von dort zerstreut hat über die ganze Erde.

[Warum findet Gott es blöd, wenn Menschen einen Turm bauen?]

Was hat Gott eigentlich gegen diesen Turm, den die Menschen da bauen wollen?

Eine Detektivgeschichte von Gilbert Keith Chesterton gibt einen aussagekräftigen Hinweis. Ich erzähle sie hier sehr gekürzt:

Zwei Brüder treffen sich, sie könnten unterschiedlicher nicht sein, der eine Oberst Norman Bohun ist bekannt für seine Liebe zu Wein und Weib, die keine Rücksicht kennt. Der andere Bruder ist anglikanischer Pfarrer, einer der viel betet in seiner wunderschönen, hohen gotischen Kirche an verschiedenen Plätzen in der Kirche, unten und weiter oben. Sie treffen sich zwischen Kirche und Schmiede, der Oberst grüßt seinen Bruder „wie ein guter Gutsherr wache ich schlaflos über meine Leute. Ich will eben den Schmied besuchen.“ Wilfried Bohun blickte zu Boden und erwiderte, der Schmied sei fort, hinüber nach Greenford. „Eben deshalb will ich ihn besuchen“ provoziert der Oberst den Pfarrer – beide wissen, dass der Schmied eine wunderschöne Frau hat…

Wenig später liegt Oberst Norman Bohun liegt auf dem Pflaster zwischen Kirche und Schmiede. Sein Kopf ist völlig zertrümmert. Sein stabiler grüner Hut ebenso. Ein Hammer, ein eher kleiner Hammer, findet sich in der Nähe.

Sein Bruder steht neben ihm wie auch der Inspektor, der den Fall lösen will, der Dorfschuster, ein Freidenker, der Doktor und ein kleiner katholischer Priester, Pater Brown eben.

Der Schmied, ein starker Mann, kommt dazu. Seine Reaktion ist verdächtig: „Ist Oberst Bohun tot?“ fragt er „dann ist er in der Hölle.“ Der Inspektor will ihn schon festnehmen, aber zwei unbescholtene Zeugen versichern, die ganze Zeit mit dem Schmied zusammen gewesen zu sein.
Wer sonst kann den Hammer mit solcher Kraft geführt haben? Die Gesprächsrunde überlegt, ob sich die Frau des Schmiedes selbst so wehrte. Der anglikanische Pfarrer aber bringt plausibel den sogenannten „Dorfidioten“ ins Spiel. Nur ein Verrückter könne mit so einem kleinen Hammer solche Kraft entfalten. Dann geht er in seine Kirche, Pater Brown folgt ihm. Er lässt sich die Schönheit der Kirche zeigen, die Orte des Gebetes – einer davon ist auf dem Kirchturm. Hier stehen die beiden, schauen nach unten, deutlich und viereckig, aber winzig klein ist der Hof zu sehen, der Inspektor, der sich Notizen macht und der Leichnam, der noch immer wie eine zerklatschte Fliege am Boden lag.

Beiläufig beginnt Pater Brown zu sprechen: „Ich halte es für etwas gefährlich, auf so hohen Punkten zu stehen, selbst um zu beten. Man sollte zu Höhen hinaufblicken, nicht von ihnen herab. „Sie meinen, man könnte fallen?“ fragte Wilfried. „Sie Seele könnte fallen, wenn schon nicht der Leib“, sagte der anderer Priester. „Ich verstehe Sie nicht ganz“, murmelte Wilfried. „Nehmen Sie zum Beispiel den Schmied“, fuhr Pater Brown ruhig fort; „ein braver Mann, aber kein Christ – hart, herrschsüchtig, unnachsichtig. Nun, die Begründer seiner schottischen Religion beteten auf Hügeln und hohen Felsen, und dabei lernten sie, mehr auf die Welt herunterzusehen, als zum Himmel hinauf. Vom Tal aus erblickt man große Dinge, vom Gipfel nur kleine“

„Aber er – er hat es nicht getan“ sagte Bohun zitternd.

„Nein“, entgegnete der andere mit seltsamem Ton, „wir wissen, er hat es nicht getan.“

Einen Augenblick lang ließ er seine blassgrauen Augen ruhig über die Ebene gleiten, dann sprach er weiter: „Ich kannte einen Mann, der früher einmal mit den andern zusammen vor den Altären kniete; später aber zog er hochgelegene, einsame Plätze für sein Gebet vor, Ecken und Nischen des Glockenturms oder der Turmspitze. Und einmal, als sich an solch schwindelerregendem Ort die ganze Welt unter ihm wie ein Rad zu drehen schien, verdrehte sich sein Verstand, und er hielt sich für Gott.

Und so beging er, obschon er ein guter Mann war, ein großes Verbrechen. Er dachte, ihm sei es gegeben, über die Welt zu richten und den Sünder niederzustrecken. Nie wäre ihm ein solcher Gedanke gekommen, hätte er mit den anderen unten gekniet. Aber von hier oben aus kamen ihm alle Menschen wie Insekten vor. Vor allem war da einer mit einem grünen Hut, der frech grade unter ihm einherstolzierte – ein giftiges Insekt. Dazu kam, dass er eine der schrecklichsten Naturgewalten in der Hand hielt, ich meine die Schwerkraft, jene wahnsinnige, immer schneller werdende Kraft, […] Sehen Sie, gerade unter uns geht jetzt der Inspektor über den Hof. Wenn ich nur einen Kiesel über die Brüstung fallen ließe, würde er wie eine Flintenkugel wirken in ihn niederschlagen. Wenn ich einen Hammer fallen ließe – selbst einen kleinen Hammer –„
Winfried Bohun schwang ein Bein über das Geländer, doch Father Brown fasste ihn mit fester Hand am Kragen. Bohun stolperte gegen die Mauer zurück und starrte ihn entsetzten Auges an. „Wie wissen Sie das alles?“ schrie er „sind Sie ein Teufel?“ „Ich bin ein Mensch“ erwiderte Father Brown sehr ernst, „und habe daher alle Teufel in meinem Herzen. Hören Sie mich,“ sagte er nach einer kleinen Pause, „ich weiß, was Sie getan haben oder wenigstens kann ich mir den größten Teil davon denken. Als Sie Ihren Bruder verließen, waren Sie von einem nicht unberechtigten Zorne erfüllt, dass Sie nach einem kleinen Hammer griffen, halb entschlossen ihn wegen seiner Schamlosigkeit niederzuschlagen. Als Sie sich wieder gefasst hatten, bargen sie den Hammer unter Ihrem Rocke und eilten in die Kirche. Da beteten Sie verwirrt an verschiedenen Orten, unter dem Engelfenster, auf der Plattform darüber und auf einer noch höheren, von der Sie des Obersten Hut wie den Rücken eines grünen Käfers umherkrabbeln sahen. Dann schnappte etwas in Ihrer Seele ein und Sie ließen Gottes Donnerkeil fallen.“

Chesterton formuliert in dieser Erzählung poetisch und deutlich, was passiert, wenn Menschen erstmal anfangen, sich über andere zu erheben.

Das Problem ist nicht der Turm an sich, das Problem entsteht da, wenn Menschen sich über andere Menschen erheben…

So haben die Zerstreuung und die Sprachverwirrung eben auch etwas Positives: Wir sind gezwungen, sorgfältig aufeinander zu hören, wenn wir uns verstehen wollen. Ja, wir sind auf den Heiligen Geist angewiesen, der Verstehen schenkt, jeden Tag neu. Gott sei Dank.

Amen.

Pfarrerin Dr. Bianca Schnupp

 

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