Predigt vom 7. Februar 2021

„Adam und Eva oder wer ist schuld?“

Predigt über 1. Mose 3

31Und die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott der Herr gemacht hatte, und sprach zu der Frau: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten? 2Da sprach die Frau zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten;3aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet!4Da sprach die Schlange zur Frau: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben,5sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.6Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von seiner Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon und er aß. 7Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.8Und sie hörten Gott den Herrn, wie er im Garten ging, als der Tag kühl geworden war. Und Adam versteckte sich mit seiner Frau vor dem Angesicht Gottes des Herrn zwischen den Bäumen im Garten. 9Und Gott der Herr rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du? 10Und er sprach: Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich. 11Und er sprach: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest nicht davon essen? 12Da sprach Adam: Die Frau, die du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum und ich aß. 13Da sprach Gott der Herr zur Frau: Warum hast du das getan? Die Frau sprach: Die Schlange betrog mich, sodass ich aß.

 21Und Gott der Herr machte Adam und seiner Frau Röcke von Fellen und zog sie ihnen an. 22Und Gott der Herr sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, dass er nur nicht ausstrecke seine Hand und nehme auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich! 23Da wies ihn Gott der Herr aus dem Garten Eden, dass er die Erde bebaute, von der er genommen war.24Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens.

Liebe Gemeinde!

…die Tür fällt hinter ihnen ins Schloss. Sie haben sich ausgesperrt. „Du hast doch den Schlüssel?“, sagt sie. „Wieso ich?“, sagt er,“ du wolltest doch extra die Handtasche mitnehmen.“ „Aber du hast ihn doch gerade noch in der Hand gehabt.“ „Aber du steckst ihn doch immer ein.“

Die Gesichter verhärten sich. Die Stimmen werden immer lauter.

Wir könnten diesen Streit endlos weiter verfolgen. Es gibt kein Ergebnis. Die Schuld beim anderen zu suchen, ist die einfachste Form der Selbstrechtfertigung. Darum gibt keiner nach. Viel wichtiger als die naheliegende Frage „Wie kommen wir wieder hinein?“ scheint die zu sein: „Wer hat Schuld?“

„Eheglück-Erlangen, Gutes für Paare“ – so steht es auf den Plakaten für die Marriage-Week, zu der unsere Predigtreihe über Paare in der Bibel einen Beitrag leisten will. Diese Frage „Wer ist schuld?“, soviel kann jetzt schon gesagt werden, tut überhaupt nicht gut. Denn sie lässt wenigstens einen der Partner beschämt zurück.

Wir blicken auf Adam und Eva. Und wir finden sie mit demselben Streit beschäftigt wie unser Paar. Auch sie sind ausgesperrt und versuchen zu klären „Wer ist schuld?“ Zum Glück gibt es die Schlange. Gerade war sie noch so eloquent; jetzt hat es ihr die Sprache verschlagen. Weil sie sich nicht wehren kann, bleibt ihr nur die Rolle des Sündenbocks. Und die hat sie in einem ganz grundsätzlichen Sinne in der Geschichte spielen müssen. Sie ist schuld an der Schuld. Mit ihr hat es angefangen, dass es so etwas wie Streit, Entzweiung oder mit großen Wörtern gesagt: Schuld und Sünde gibt. Darum heißt diese Geschichte auch in der Bibel der Sündenfall. Woher kommt das Böse? Wie gut, wenn es jemand gibt, auf den man zeigen kann. Aber können wir uns wirklich rückwärts durch die Geschichte klicken, um dann diese Frage mit Adam und Eva und der Schlange zu beantworten? Amerikanischen Fundamentalisten mag das vielleicht gelingen. Ich denke aber, dass die biblische Urgeschichte keine historische, sondern eine existentielle Erklärung der Frage nach dem Bösen in der Welt gibt. Das heißt: Wir sind von Adam und Eva nicht weiter entfernt als Menschen zu irgendeiner anderen Zeit vor uns.

Die Bibel erzählt mit großer Raffinesse. Dieser zweite Schöpfungsbericht setzt an bei der Erschaffung des Menschen aus dem Staub der Erde und dem göttlichen Lebensatem. Es wird erzählt von der Schöpfung der Tiere und der Frau aus der Rippe des Mannes. Das mag uns naiv erscheinen, hält aber Wesentliches fest. Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.

Adam und Eva leben im paradiesischen Garten Eden im Gegenüber zu ihrem Schöpfer und in einer Harmonie, die keine Scham kennt: Sie waren nackt und schämten sich nicht.

Wenn wir jedoch die Geschichte von Adam und Eva als unsere Geschichte erzählen wollen, können wir unmöglich dort beginnen, wo die biblische Geschichte beginnt. Unsere fängt dort an, wo die Tür schon ins Schloss gefallen ist. Das einzige, was nach draußen dringt, ist Gottes Frage: Adam, wo bist du? Mit dieser Frage Gottes nach dem Menschen und der Menschlichkeit beginnt unsere Geschichte. Denn es ist nicht Selbsterkenntnis oder eine Moral, die uns vor Augen stellt, dass wir ausgesperrt sind, um unsere Selbstrechtfertigung bemüht und von Gott entfremdet; es ist Gottes Frage nach uns, die das aufdeckt. Und so hat unser Nachdenken über Gott und Mensch nicht bei unserer Befindlichkeit anzusetzen, sondern bei Gottes Suche nach dem Menschen.

Wo findet uns Gott, wenn er uns ruft?  Die Geschichte sagt: beim Versteckspiel, das für die Entfremdung zwischen Mensch und Gott steht. Adam sagt zu Gott: Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich.

Bisher war kein Verstecken nötig. Sie lebten im Gegenüber zu Gott. Sie durften essen von allen Früchten des Gartens. Und der Baum des Lebens war die Mitte des Gartens. Er stand da als Symbol für die Freiheit der Geschöpfe Gottes; eine Freiheit, die durch Gottes Gebot nicht eingeschränkt, sondern geschützt war. Du darfst essen von allen Bäumen im Garten, aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen. Wie das Meer nicht ohne Ufer, so ist die Freiheit nicht ohne Grenze. Im Gegenteil: Erst durch die Grenze wird die Freiheit als Freiheit erkennbar.

Genau an dieser Grenze entzündet sich das Misstrauen. Sollte Gott gesagt haben? Sollte Gott, der doch meine Freiheit will, mir etwas vorenthalten wollen? Sollte Gott etwas dagegen haben, dass ich meine Freiheit auslebe? Sollte Gott meinen Plänen Steine in den Weg legen? Die Schlange stellt es schlau an. Sie fordert nicht einfach dazu auf, Gottes Gebot zu übertreten. Ihr Gift ist viel subtiler. Sie erweckt den Anschein, als ginge es ihr um das rechte Verständnis von Gottes Gebot. Sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten? So sät die Schlange Zweifel an der Güte Gottes. Und auf einmal ist der Lebensmittelpunkt ver-rückt. Nicht mehr das Vertrauen in Gottes Güte zählt, sondern der Verdacht, ich könnte etwas verpassen. Nicht mehr der Baum des Lebens steht in der Mitte des Gartens und meiner Aufmerksamkeit, sondern mein Interesse gilt jetzt nur dem verbotenen Baum. Und dann ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Übertretung von Gottes Gebot.

Adam, von Gott zur Rechenschaft gezogen, wird später Eva die Schuld zuschieben und Gott selbst verantwortlich machen: Die Frau, die du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum. Eva wird mit dem Finger auf die Schlange zeigen: Die Schlange betrog mich, sodass ich aß.

Adam und Eva oder: Wer ist schuld? Wie gesagt: Die Schlange ist die letzte in der Reihe der Schuldzuweisungen. Aber jetzt ist sie stumm und kann sich nicht wehren. Das bedeutet: Es gibt letztlich keine Erklärung dafür, warum das Böse in der Welt ist. Ist es gesetzt mit der Grenze meiner Freiheit; einer Grenze, die ich schon im täglichen Klein-klein schwer akzeptieren kann?

Die Verheißung der Grenzüberschreitung ist riesig: Ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist. Wie das? Was gut und böse ist, das wissen sie doch längst; das hat doch Gott selbst ihnen mit seinem Gebot mitgeteilt. Gemeint ist viel mehr. Gemeint ist der Mensch, der nun selbst bestimmt, was gut und böse ist; der Mensch, der das Gegenüber zu Gott aufkündigt und sich selbst letzte Instanz ist.

Für Renaissance und Aufklärung ist diese Grenzüberschreitung kein Sündenfall, sondern ein gefeierter Akt der Emanzipation. Heraus aus dem Mief der Bevormundung! Das Schicksal in die eigenen Hände genommen! Die Schönheit des menschlichen Körpers steht auf Albrecht Dürers Bild von Adam und Eva stellvertretend für dieses Selbstbewusstsein, das keine Scham kennt. Nicht die Schlange verführt Eva. Sondern Eva hält der Schlange komplizenhaft den Apfel hin. Es gilt, ohne Schranken die Welt zu entdecken und sich zu unterwerfen.

Heute ist uns dieses Projekt mehr als fraglich geworden. Es ist Gottes Frage: Wo bist du, Mensch; wo ist deine Menschlichkeit? die uns bewusst macht, wie wir uns vor Gott verstecken, und wieviel Grund zur Scham es gibt.

Von Adam und Eva heißt es: Sie waren nackt und schämten sich nicht. Scham ist da, wo Sein und Sollen nicht deckungsgleich sind. Die Nacktheit an sich kann nicht das Problem sein. Nackt zu sein bedeutet, dass offenliegt, wie und was jemand ist. Wo Menschen im Gegenüber zu ihrem Schöpfer leben, d.h., aus der Fülle seiner Güte, da gibt es keinen Grund zur Scham. Wo aber dieser Lebensort verlassen wird, Gottes Güte verleugnet, da kommt zur Nacktheit die Scham, die Adam zum Verstecken vor Gott verleitet.

Gilt nicht Ähnliches auch vom Verrat der Liebe, die sich zwei Menschen versprochen haben? Auch da steht am Ende die Beschämung.

Gott stellt fest: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Er hat sich selbst zum Gott gemacht. Für ihn gibt es jetzt nur noch eine Grenze: den Tod. Damit er die nicht aufhebe und greife nach dem Baum des Lebens, vertreibt ihn Gott aus dem paradiesischen Garten. Adam und Eva sind ausgesperrt und müssen mit der Beschämung durch die Sünde leben. Aber Gott sorgt dafür, dass sie es auch können. Er machte ihnen Röcke aus Fellen und zog sie ihnen an.

Wer ist schuld? In der Geschichte von Adam und Eva gibt es auf diese Frage keine eindeutige Antwort. Und so ist es auch zumeist in unserem Leben.

Schuld muss benannt werden. Sie darf nicht unter den Teppich gekehrt werden. Doch meistens lässt sich die Frage nach der Schuld gar nicht eindeutig beantworten. Dann führt sie nur zu endlosen gegenseitigen Beschuldigungen. Dann ist sie keine gute Frage, sondern eine, die Beziehungen zerstören kann. Darum hat Jesus Christus diese Frage an sich genommen und beantwortet. Er hat unsere Schuld auf sich genommen. Er will, dass auch wir uns untereinander vergeben und ohne Scham in die Augen sehen können.

Dafür reicht Jesus Christus eine andere Frage an uns weiter. Es ist die, die Gott Adam gestellt hat: Wo bist du, Mensch? Lebst du als Gottes Geschöpf aus dem Reichtum seiner Güte? Oder musst du dich verstecken? Wenn Jesus Christus diese Frage an uns stellt, dann ist sie eine Einladung, das Versteckspiel aufzugeben und zurückzufinden in Gottes Barmherzigkeit. Darum ist diese Frage tröstlich, weil sie uns zurückholt in Gottes Geschichte mit uns.

Wenn wir die Geschichte von Adam und Eva als unsere Geschichte erzählen, dann ist jetzt – erst jetzt wenn uns diese Frage erreicht – die Zeit von dem zu reden, was vor dem Sündenfall berichtet wird.  Denn Christus ist uns der Schlüssel zum Paradies. Heut schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradies klingt es uns noch von Weihnachten in den Ohren. Der Garten mit dem Baum des Lebens in der Mitte ist nicht unsere Vergangenheit, sondern unsere Zukunft. Durch Christus ist er uns Verheißung.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen

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